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Das Chat-Hamsterrad: Warum Slack dein Unternehmen langsamer macht (und wie du aussteigst)

Geschrieben von Marina Dittrich | Nov 3, 2025 9:44:33 PM

TL;DR - Die Kurzantwort

Chats wie Slack sind gut für kurze Abstimmungen, aber katastrophal für Aufgabendelegation. Das Problem: Schnelle Kommunikation ≠ Schnelle Umsetzung. Die Lösung: Task-Management für Aufgaben, Wiki für Wissen, Chats nur für Kommunikation. Plus klare Team-Policies.

Warum öffnen wir morgens Slack mit einem schlechten Gefühl?

Du kennst dieses Szenario: Du klappst morgens den Laptop auf, und da ist sie – die rote Zahl. 47 ungelesene Nachrichten in Slack. Oder 103. Oder mehr.

Du klickst dich durch die Threads, versuchst zu rekonstruieren, was gestern Abend passiert ist, antwortest auf drei "Kannst du mal kurz..."-Anfragen, und plötzlich ist Mittag. Und du fragst dich: Was wollte ich heute eigentlich machen?

Willkommen im Chat-Hamsterrad.

Was ist das Chat-Hamsterrad?

Das Chat-Hamsterrad entsteht, wenn Messaging-Tools wie Slack, Teams oder andere Chat-Programme zur primären Arbeitsfläche werden – nicht nur für Kommunikation, sondern auch für Aufgabendelegation, Projektkoordination und Wissensmanagement.

Die Folgen:

  • Ständige Unterbrechungen durch neue Nachrichten
  • Fehlende Priorisierung von Aufgaben
  • Kontextverlust bei wichtigen Informationen
  • Asymmetrische Verteilung des Workloads
  • Das trügerische Gefühl von Produktivität ohne tatsächlichen Fortschritt

Warum fühlt sich Slack produktiv an, ohne dass wir vorankommen?

Das Produktivitäts-Paradox

Chats wie Slack, Teams oder andere Messenger-Tools haben die Arbeitswelt revolutioniert. Sie haben die Kommunikation schneller, informeller und zugänglicher gemacht. Das ist ihre große Stärke.

Aber hier liegt auch das Problem: Schnelle Kommunikation bedeutet nicht automatisch schnelle Umsetzung.

In vielen Startups und Scale-ups – und zunehmend auch in etablierten Unternehmen – sind Chats zum primären Arbeitskanal geworden. Nicht nur für Kommunikation, sondern für:

  • ✓ Aufgabendelegation
  • ✓ Projektkoordination
  • ✓ Wissensmanagement
  • ✓ Statusupdates
  • ✓ Entscheidungsfindung

Und genau da wird es problematisch.

Wofür sind Chats wirklich gut?

Bevor wir tiefer ins Problem eintauchen: Chats sind nicht grundsätzlich schlecht. Im Gegenteil. Sie sind hervorragend für:

Use Case Warum Chats hier funktionieren
Kurze Abstimmungen Der schnelle, informelle Dienstweg ohne aufwändige E-Mail
One-to-many Kommunikation Über Channels alle auf einen Schlag erreichen
Thread-Diskussionen Feedback einholen, Stimmungsbilder abfragen

Das Problem entsteht, wenn Chats für deutlich mehr verwendet werden.

4 Gründe, warum Chats zur Arbeitsfalle werden

1. Aufgabendelegation im Chat ist ein Produktivitätskiller

"Kannst du mal kurz..." – dieser Satz ist der Anfang vom Ende.

Die Idee dahinter ist verständlich: Ich möchte schnell an etwas kommen, das ich für meine Arbeit brauche. Aber sobald Chats dauerhaft zum Ort werden, wo Projekte bearbeitet und Aufgaben delegiert werden, wird es extrem stressig.

Warum? Weil jede Chat-Nachricht für dich Arbeit bedeutet.

Hinter diesen 100 ungelesenen Nachrichten stehen keine lustigen Memes. Dort stehen wichtige Anfragen, Aufgaben und Erwartungen. Und du musst jetzt:

  1. Alle Nachrichten durchgehen
  2. Relevantes von Irrelevantem trennen
  3. Priorisierung herstellen
  4. Kontext rekonstruieren
  5. Entscheiden, was jetzt wichtig ist

Das ist anstrengend. Und zwar jeden Tag aufs Neue.

2. Chats sind nicht für Priorisierung gemacht

Eine Chat-Nachricht hat keinen inhärenten Kontext:

❌ Ist das eine Aufgabe?
❌ Wie wichtig ist sie?
❌ Wann ist sie fällig?
❌ Welche anderen Aufgaben hängen davon ab?
❌ Wer ist sonst noch beteiligt?

Im Chat musst du dir all das selbst zusammenpuzzeln. Aus fragmentierten Nachrichten. Die vielleicht schon drei Screens nach oben gescrollt sind.

3. Das Paradox: Aktivität ≠ Fortschritt

Hier wird es richtig tückisch.

Chats erzeugen das Gefühl von Bewegung. Es passiert was. Nachrichten werden geschrieben. Threads füllen sich. Es fühlt sich produktiv an.

Aber Chat ist nicht die Umsetzung.

Praxis-Beispiel: Ich habe Projektgruppen erlebt, die Wochen damit verbracht haben, eine Landing Page zu erstellen. Eine eigentlich simple Aufgabe.

Das Problem: Das Team fühlte sich busy. Es wurde viel kommuniziert. Aber am Ende stand kaum etwas.

4. Der versteckte Workload: Nette Menschen werden überrannt

Es gibt noch einen Nebeneffekt, der oft unterm Radar läuft:

Die Personen, die online sind, schnell reagieren und hilfsbereit sind, werden mit "Kannst du mal kurz..."-Anfragen bombardiert.

Das verschiebt den Workload extrem asymmetrisch.

Diese Menschen:

  • Halten viel zusammen
  • Helfen gerne
  • Sind erreichbar

Aber sie zahlen einen hohen Preis:

  • ❌ Keine Fokuszeit
  • ❌ Keine tiefe Arbeit
  • ❌ Kein Flow
  • ❌ Schwierige Weiterentwicklung

Ohne Fokusarbeit ist es schwer, sich wirklich weiterzuentwickeln und komplexere Probleme zu lösen.

Wie kommst du aus dem Chat-Hamsterrad raus? Der 5-Schritte-Plan

Schritt 1: Verstehe, was in euren Chats passiert

Analysiere, wofür Chats in deinem Team verwendet werden:

Häufige Kategorien:

  • Aufgabendelegation
  • Wissensabfrage ("Wo liegt XYZ?")
  • Ressourcenanfragen
  • Statusupdates
  • Entscheidungsfindung

Fragen zur Analyse:

  • Welche Teams sind besonders betroffen?
  • Welche Themen kommen am häufigsten vor?
  • Wo fehlen Informationen in anderen Systemen?

Mach dir ein klares Bild davon, was im Chat passiert.

Schritt 2: Führe ein Live-Audit durch

Praktische Umsetzung:

Lass Teams einen Tag lang Strichliste führen:

Kategorie | Anzahl

------------------------|--------
Aufgabe delegiert | ||||
Ressource angefragt | ||||
Wissen abgefragt | ||||
Statusupdate | ||||

Das muss nicht 100% akkurat sein. Es geht darum, Muster zu erkennen.

Schritt 3: Etabliere Systeme, die besser funktionieren

Je nachdem, was du gefunden hast:

Problem Lösung
"Wo liegt XYZ?" Wissensdatenbank aufbauen/aufräumen mit guter Suche (idealerweise AI-gestützt)
Aufgaben im Chat Task-Management-System etablieren, das SO intuitiv ist, dass es der neue Default wird
Neue Teammitglieder finden nichts Onboarding-Doku + zentrale Ressourcen-Übersicht
Ständige Nachfragen FAQ-Sektion im Wiki + Self-Service-Optionen

Schritt 4: Mache den neuen Weg zum Default

Der Schlüssel: Es muss einfacher sein, den richtigen Weg zu gehen als den falschen.

Das bedeutet konkret:

Task-Management-Tool:

  • So nativ und einfach, dass niemand auf die Idee kommt, Aufgaben im Chat zu verteilen
  • Direkter Zugang aus dem Chat (z.B. Jira/Asana-Integration)
  • Mobile Apps für unterwegs

Wissensdatenbank:

  • So gut durchsuchbar, dass die Antwort schneller gefunden ist als die Chat-Nachricht geschrieben
  • AI-gestützte Suche für natürliche Fragen
  • Automatische Vorschläge bei Suchanfragen

Dokumentation:

  • So zugänglich, dass sie der erste Anlaufpunkt ist
  • Klare Struktur und Navigation
  • Regelmäßige Updates

Schritt 5: Etabliere offizielle Policies (falls nötig)

Manchmal reicht das nicht. Dann braucht es klare Regeln:

Beispiel-Policy: "Aufgabendelegation nicht im Chat"

Das bedeutet:

  • ✓ Alle Mitarbeitenden dürfen Chat-Aufgaben ablehnen
  • ✓ Es gibt einen offiziellen Weg für Aufgaben
  • ✓ Fokuszeit ist geschützt
  • ✓ Erreichbarkeitserwartungen sind klar definiert

Wichtig: Das muss eine Team-weite oder Unternehmens-weite Policy sein. Nicht die Entscheidung einzelner Personen.

Ansonsten entsteht sozialer Druck, doch zu reagieren.

Häufige Fragen zum Chat-Hamsterrad

Kann ich Slack komplett abschaffen?

Nein, und das solltest du auch nicht. Chats sind wertvoll für kurze Abstimmungen. Das Ziel ist nicht, Chats abzuschaffen, sondern sie für das Richtige zu nutzen.

Wie lange dauert die Umstellung?

Die Transformation braucht 3-6 Monate, je nach Unternehmensgröße. Es ist ein kultureller Wandel, kein technisches Update.

Was mache ich, wenn weiter per Chat delegiert wird?

Das ist ein klassisches Change-Management-Problem. Du brauchst:

  1. Eine offizielle Policy von oben
  2. Alternativen, die für alle einfacher sind
  3. Geduld und konsequentes Vorleben

 

Zusammenfassung: Dein Aktionsplan

Das Chat-Hamsterrad zu durchbrechen ist kein Sprint. Es ist ein kultureller Wandel.

Die Ergebnisse sind es wert:

  • ✓ Mehr Fokuszeit für alle
  • ✓ Klarere Priorisierung
  • ✓ Weniger Stress am Morgen
  • ✓ Tatsächlicher Fortschritt statt Chat-Aktivität

Der erste Schritt: Verstehe, was bei euch im Chat passiert. Und fang an, Stück für Stück Alternativen zu etablieren.

Dein Team wird es dir danken.

Möchtest du tiefer in das Thema einsteigen? In meinem Podcast "Die digitale Tanzformation" behandle ich regelmäßig Themen rund um Digitalisierung, Prozessoptimierung und Software-Rollouts.